Vor nahezu 100 Jahren fand in der Physik eine revolution?re Entdeckung statt: Mikroskopische Materie weist Eigenschaften von Wellen auf. Im Laufe der Jahrzehnte wurde mit immer pr?ziseren Experimenten insbesondere die Welleneigenschaft des Elektrons vermessen. Dazu wurde vor allem die spektroskopische Untersuchung des Wasserstoffatoms herangezogen. So konnte überprüft werden, wie genau die Quantentheorie des Elektrons stimmt.
Für schwere Elementarteilchen – zum Beispiel Protonen – und Nuklide (Atomkerne) ist eine genaue Vermessung ihrer Welleneigenschaften schwierig. Im Prinzip sind diese allerdings allgegenw?rtig: In Molekülen sind die Welleneigenschaften von Atomkernen offensichtlich realisiert, und zwar in den inneren Schwingungen der Atomkerne gegeneinander. Dies erm?glichen die Elektronen in Molekülen, die eine Bindung zwischen den Kernen verursachen, die aber nicht starr, sondern „weich“ ist. Kernschwingungen treten zum Beispiel in jedem Molekülgas unter Normalbedingungen auf, wie in Luft.
Die Welleneigenschaften der Kerne ?u?ern sich, indem die Schwingung nicht eine beliebige St?rke – sprich Energie – aufweisen kann, wie es etwa bei einem Pendel der Fall w?re. Vielmehr sind nur pr?zise diskrete, sogenannte quantisierte Werte für die Energie m?glich.
Ein Quantensprung vom Schwingungszustand geringster Energie zu einem Zustand gr??erer Energie kann erfolgen, indem auf das Molekül Licht eingestrahlt wird, dessen Wellenl?nge pr?zise so eingestellt ist, dass sie genau dem Energieunterschied zwischen beiden Zust?nden entspricht.
M?chte man die Welleneigenschaften der Nuklide sehr genau überprüfen, ben?tigt man sowohl eine sehr pr?zise Messmethode als auch eine sehr genaue Kenntnis der Bindungskr?fte im konkreten Molekül, denn diese bestimmen die Details der Wellenbewegung der Nuklide. Hiermit wird es dann auch m?glich, fundamentale Naturgesetze zu testen, indem man ihre konkreten Aussagen für das untersuchte Nuklid mit den Messergebnissen vergleicht.
Eine Herausforderung: Es ist es heute noch nicht m?glich, für die Bindungskr?fte von Molekülen im Allgemeinen pr?zise theoretische Vorhersagen zu treffen – die anzuwendende Quantentheorie ist mathematisch zu komplex. Daher ist eine pr?zise ?berprüfung der Welleneigenschaften in einem beliebigen Molekül nicht m?glich. Nur bei besonders einfachen Molekülen kann dies gelingen.
Genau einem solchen Molekül – dem Wasserstoffmolekülion HD+ – widmet sich Prof. Schillers Forschungsteam am Institut für Experimentalphysik der HHU, zusammen mit seinem langj?hrigen Kooperationspartner V. I. Korobov vom Bogoliubov Laboratory of Theoretical Physics am Joint Institute for Nuclear Research im russischen Dubna. HD+ besteht aus einem Proton (p) und dem Nuklid Deuteron (d). Beide sind durch ein einziges Elektron aneinandergebunden. Die relative Einfachheit dieses Moleküls erlaubt es mittlerweile, extrem genaue theoretische Rechnungen durchzuführen. Dies gelang V.I. Korobov, der über zwanzig Jahre lang seine Rechnungen kontinuierlich verbesserte.
Für geladene Moleküle, etwa das Wasserstoffmolekülion, fehlte bis vor kurzem eine zug?ngliche und gleichzeitig hochpr?zise Messtechnik. Das Team um Prof. Schiller hatte aber im letzten Jahr eine neuartige Spektroskopietechnik für die Untersuchung der Rotation von Molekülionen entwickelt. Dabei wurde sogenannte Terahertz-Strahlung eingesetzt, mit einer Wellenl?nge von etwa 0,2 mm.
Das Team konnte nun zeigen, dass derselbe Ansatz auch für die Anregung von Molekülschwingungen mittels Strahlung mit 50-fach kürzerer Wellenl?nge funktioniert. Dafür mussten sie einen besonders frequenzscharfen Laser entwickeln, der weltweit einmalig ist.
Sie wiesen nach, dass die erweiterte Spektroskopietechnik ein Aufl?sungsverm?gen für die Strahlungswellenl?nge für Schwingungsanregung besitzt, das 10.000-mal h?her ist als bei bisherigen Techniken für Molekülionen. Auch systematische St?rungen der Schwingungszust?nde der Molekülionen, etwa durch elektrische und magnetische St?rfelder, konnten um den Faktor 400 unterdrückt werden.
Letztendlich zeigte sich, dass die Vorhersage der Quantentheorie bezüglich des Verhaltens der Atomkerne Proton und Deuteron mit einer relativen Ungenauigkeit von weniger als 3 Teilen auf 100 Milliarden Teilen mit dem Experiment übereinstimmt.
Setzt man allerdings voraus, dass die von V.I. Korobov get?tigte Vorhersage auf der Basis der Quantentheorie vollst?ndig ist, so kann man das Ergebnis des Experiments anders deuten: Als Bestimmung des Verh?ltnisses von Elektronenmasse zur Protonenmasse. Der abgeleitete Wert stimmt sehr gut mit den Werten überein, den Experimente anderer Arbeitsgruppen mit ganz anderen Messtechniken ermittelten.
Prof. Schiller betont: „Wir waren überrascht, wie gut das Experiment funktioniert hat. Und wir glauben, dass die von uns entwickelte Technik nicht nur für unser „spezielles“ Molekül einsetzbar ist, sondern viel breiter. Es wird spannend sein zu sehen, wie schnell die Technik von anderen Arbeitsgruppen übernommen werden wird.“
Originalpublikation
I. V. Kortunov, S. Alighanbari, M. G. Hansen, G. S. Giri, V. I. Korobov & S. Schiller, Proton-electron mass ratio by high-resolution optical spectroscopy of ion ensembles in the resolved-carrier regime, Nature Physics 2021